2 Hilfskonvois unter Beteiligung der Feuerwehr Delbrück haben Ihren Weg an die Polnisch-Ukrainische Grenze gefunden. Ein Erfahrungsbericht von Axel Langer, welcher selbst den ersten Konvoi als Fahrer begleitet hat.
Delbrück (al). Es ist kurz vor 6 Uhr in der Früh. Der schnelle Kaffee zu Hause tut gut. Noch ist es dunkel. Nach und nach treffen die einzelnen Fahrzeuge des Delbrücker Hilfsgütertransport auf dem Parkplatz Laumes Kamp ein. Der Konvoi aus 13 Fahrzeugen vom Pkw über Sprinter, zahlreiche Feuerwehrfahrzeuge, Sattelzüge und sogar ein Gigaliner treten bis unter das Dach vollgepackt die 1.270 Kilometer nach Medyka in der Nähe des polnischen Przemysl an. Schon in den Tagen zuvor haben viele fleißige Hände geholfen, tonnenweise Hilfsgüter, Lebensmittel, Medikamente, Hygieneartikel zu packen und zu verladen. Eine kurze Anfrage von Konvoileiter Stefan Gutzmann und die Motoren werden angelassen. 35 Helfer machen sich auf den Weg.
Zusammen mit Nils Schadwinkel und dem Landtagsabgeordneten Bernhard Hoppe-Biermeyer fahre ich einen Transporter mit Anhänger. Es ist ganz still im Transporter, als wir Delbrück verlassen. Jeder macht sich so meine Gedanken. Mir geht es da nicht anders. Was erwartet uns vor Ort? Wie kommen wir durch? Können wir tanken? Werden wir brenzlige Situationen erleben? Meine Gedanken bleiben an einer schlimmen Erinnerung hängen: Auf einer Studienfahrt in den Norden Israels musste ich als junger Mann plötzlich Zuflucht in einem Luftschutzbunker suchen. Es wurde ein Raketenbeschuss gemeldet. Die Raketen wurden abgefangen und es ist glücklicherweise nichts passiert, aber das Gefühl war schlimm. Auch jetzt fahren wir an den Rand eines Kriegsgebietes. Dann fallen mir die vielen ukrainischen Flüchtlinge ein, die unverschuldet ihre Heimat, ihre Wohnungen und vielleicht auch schon Familienmitglieder oder Freunde verloren haben. Mit dem Entschluss, diesen Menschen muss geholfen werden, wische ich die Erinnerungen beiseite.
Es wird hell und mir fällt auf, dass viele Hilfskonvois unterwegs sind. Spanier, Niederländer, Belgier, Franzosen, Engländer, aus ganz Europa sind Fahrzeuge in Richtung Ukraine unterwegs. Immer wieder überholen uns Fahrzeuge mit gelb-blauen Fahnen. Sind das viele, denke ich beeindruckt. Aber so groß wie der Delbrücker Transport ist kein anderer. Regelmäßig machen wir Pause und wechseln die Fahrer. Schnell richten Lennard Hils und Wolfgang Simsch eine kleine Küche her. Der heiße Kaffee tut gut. Immerhin haben wir noch Minustemperaturen. Am späten Nachmittag sind wir an der deutsch-polnischen Grenze. Wir sind gut durchgekommen, kein Stau. In der Nähe von Breslau versuchen wir zu tanken. Achselzuckend steht der Tankwart vor uns. „Er ist blank, hat keinen Diesel mehr“, übersetzt Marlena Wroblewska. Die junge Frau stellt sich der großen Aufgabe uns durch Polen zu lotsen und zu übersetzen. Das macht sie richtig gut. Unsere mitgeführte Tankstelle kommt zum Einsatz, 1.200 Liter Diesel sind unsere Reserve. Noch haben wir ein bisschen was im Tank und fahren weiter. Bei Krakau sind wir dann erfolgreich. Problemlos bekommen wir als Hilfskonvoi unsere Tanks vollgefüllt. Die Polen dagegen bekommen nichts. Was andernorts großes Gezeter ausgelöst hätte, nehmen die Polen, mal gelassen, mal bewusst hin. „Ihr seid jetzt wirklich wichtig. Ihr helft uns, der Ukraine zu helfen. Das ist großartig. Wenn der russische Staat den Bruderstaat Ukraine nicht will, sind wir eben der große Bruder. Wir müssen zusammenhalten“, sagt mir ein Pole, der selber gerade leer ausgegangen ist und wünscht uns eine gute Fahrt.
Als ich dann in den Abendstunden das Steuer übernehme, fällt mein Blick auf das Thermometer auf Auto. Minus acht Grad bei Kattowitz versprechen eine eisige Nacht. Gegen drei Uhr haben wir die Paderborner Partnerstadt Przemysl erreicht. Statt in einer bitterkalten Kaserne übernachten wir in einem Studentenwohnheim. Marlena Wroblewska hat die neue Unterkunft organisiert. Auch die 3er und 4er Zimmer waren seit Tagen nicht beheizt, aber doch etwas wohliger als die Kaserne. Schnell krabbel´ ich in den warmen Schlafsack und bin eingeschlafen. Ab acht Uhr soll entladen werden und da noch rund zehn Kilometer nach Medyka zu fahren sind, geht es früh weiter. Schnell ist der Konvoi wieder formiert und es geht über die Europastraße 40 auf das Gelände einer Spedition. Von hier aus sind es nur wenige hundert Meter bis zur polnisch-ukrainischen Grenze. Parallel zur Europastraße verläuft die Grenze. Wie es wohl dahinter aussieht? Wie geht es den Menschen? Die Region bis Lwiw, etwa 110 Kilometer entfernt, galt bis dahin als ruhig. Doch das sollte sich ändern.
Mir fallen viele Polizeifahrzeuge auf, die unterwegs sind. In unmittelbarer Grenznähe ist die Europastraße 40 durch die Polizei gesperrt. Nach einer Runde durch Medyka finden Stefan Gutzmann und Marlena Wroblewska die Zufahrt zur Spedition. Aus vielen Daumen gibt es ein „Daumen hoch“ für unseren Konvoi. Kein böses Wort, wenn wir am Straßenrand halten und uns orientieren müssen. „Wir verladen nun doch nicht auf Eisenbahnwaggons, sondern auf vier ukrainische Sattelzüge. Die Lkwfahrer passen auf die Hilfsgüter auf und bringen diese nach Lwiw. Die Waggons könnten irgendwo stranden, geplündert werden oder sogar dem Russischen Militär in die Hände fallen“, erklärt Marlena Wroblewska die nachvollziehbare Entscheidung.
Die flache Landschaft steigt auf der ukrainischen Seite zu einer sanften Hügellandschaft an. Immer wieder sieht man Rauchsäulen im Hinterland aufsteigen. Heute weiß ich, dass hier Sammelpunkte vom russischen Militär angegriffen wurden, an denen sich Freiwillige aus ganz Europa zusammenfinden, um auf ukrainischer Seite gegen den russischen Angreifer zu kämpfen. Uns wird klar, die Situation ist angespannt und unübersichtlich. Die Bitte der Spedition, möglichst vom Gelände aus keine Posts absetzen, keine digitale Spuren der Handys zu hinterlassen und keine Gebäudeinfrastruktur im Foto zeigen, bestärkt dieses Gefühl. Es wird schlagartig klar, dass der Hilfsgütertransport am Rande eines Kriegsgebietes operiert. Mit Hilfe von Marlena Wroblewska suche ich das Gespräch mit der Speditionsleitung. Ich möchte in Erfahrung ob und wie ich vor Ort Fotos machen kann. Ich stoße auf Entsetzen und zunächst Ablehnung. Nachdem ich verspreche, selbstverständlich keine Gebäude von außen, keine ukrainischen Lkw´s oder gar deren Fahrer zu zeigen, darf ich Fotos machen. Noch vor 24 Stunden hätte ich nicht geglaubt mir über solche Dinge Gedanken machen zu müssen. Aber die Sorge der Spedition sich zur Zielscheibe für wie auch immer geartete Racheakte zu machen, ist nicht von der Hand zu weisen.
Die Hilfsgüter werden abgeladen, in die vier Lkws umgeladen oder im Magazin der Spedition untergestellt. Die ukrainischen Fahrer sind mit großem Engagement bei der Sache. Die Fahrer sind sich der Gefahr für sie bewusst, strahlen aber bei der Ansicht der zahllosen Paletten. „So viele Hilfsgüter in die Ukraine liefern zu dürfen, macht uns stolz. Diese Mengen helfen uns wirklich weiter“, übersetzt Marlena Wroblewska. Die Fahrer packen kräftig mit an und werden ein paar Tage regelmäßig in das knapp 120 Kilometer entfernte Lwiw pendeln um alle Hilfsgüter aus dem Lager der Spedition zu holen. In Lwiw werden die Paletten neu sortiert. „Wir wissen genau, wo wir die Hilfsgüter hinbringen. Dort werden sie neu zusammengestellt und je nach Personenzahl der Empfänger sortiert“, lassen die Fahrer wissen. Das ist Einsatz. Unsere sicher anstrengende Fahrt über 21 Stunden kommt mir angesichts der Aufgabe für die ukrainischen Trucker als ziemlich gering vor.
Frühzeitig fährt Martin Steffens nach Przemysl zurück. Er nimmt fünf geflüchtete Personen mit nach Delbrück. Auch der Konvoi macht sich bald auf den Rückweg. Die ganze Nacht soll mit regelmäßigen Wechseln gefahren werden. Auf der Rückfahrt leistet die eigene „Tankstelle“ wieder wertvolle Dienste und ermöglicht die Weiterfahrt.
Auf einer Raststätte treffen die Delbrücker zufällig auf einen Bus mit geflüchteten Kindern und Jugendlichen sowie deren Müttern auf seiner Fahrt nach Deutschland. Begleitet werden sie von zwei jungen Pfadfindern. Bei uns gibt es Hot Dogs und wir kommen ins Gespräch. Es stellt sich heraus, dass die Menschen im Bus keine Verpflegung mehr hatten. Schnell waren ein paar weitere Würstchen heiß gemacht, Brötchen geschnitten und die für die Konvoifahrer geplanten Lunchpakete hervorgekramt und unter den Flüchtenden verteilt. „Ich hätte nie geglaubt, Mitten in Europa in leuchtende Kinderaugen zu blicken, die sich über ein paar Heißwürstchen, einen Apfel oder Gummibärchen freuen“ spricht Michael Strunz aus, was alle im Konvoi denken.
Unsere Hilfe wird auf dem Rückweg durch Polen ein weiteres Mal benötigt, als uns ein Konvoi aus Fulda anspricht. Einem Geschwisterpärchen geht es nicht gut. Kreislaufprobleme und Unterkühlung mach der zwölfjährigen und ihrem achtjährigen Bruder zu schaffen. Ein Fuldarer Fahrzeug reiht sich in unseren Konvoi ein und fährt bis Dresden mit uns mit. Ein warmer Schlafsack und ein paar wärmende Getränke haben ihre Wirkung nicht verfehlt. In Dresden geht es den beiden schon wieder besser. Es gibt noch etwas warmes zu Essen und wir nehmen die letzte Etappe in Angriff.
Am Sonntag morgen wird Delbrück wohlbehalten erreicht. „Es hat alles gut geklappt. Unser Plan ist aufgegangen und wir haben alle die Gewissheit für die richtige Seite etwas getan zu haben. Das ist ein gutes Gefühl“, resümierte Konvoileiter Stefan Gutzmann müde aber zufrieden. Glücklicherweise ist die Solidarität in Delbrück sehr groß und lässt auch nicht nach. Am vergangenen Freitag konnte daher ein zweiter Hilfsgütertransport starten. Die drei Sprinter mit Anhänger haben für 50.000 Euro Spendengelder erworbene Medikamente sowie weitere Lebensmittelspenden an Bord und bringen diese nach Medyka. Unter dem Kennwort DRK Ukraine-Hilfe werden weiterhin Geldspenden gesammelt. Die Bankverbindung lautet DE67 4725 1740 0000 0111 14.
Text und Bilder: A. Langer